Mehr als nur Frage und Antwort: Wie gibt man gute Interviews?

Was du im Beitrag erfährst:
  • Wieso gibt es so viele schlechte Interviews und was können Künstler und Fragesteller daran ändern
  • Wieso man als Künstler Interviews geben sollte
  • Welche Arten von Interviews es gibt
  • Auf was man als Künstler bei Interviews achten sollte und wie man sich darauf vorbereiten kann

Sobald man einen gewissen Bekanntheitsgrad als Musiker erreicht hat, wird man mit den ersten Interviewanfragen konfrontiert. Kann ja nicht so schwierig sein, werden jetzt manche denken, man muss ja nur einige Fragen beantworten. So einfach ist es aber leider nicht, sonst gäbe es auch nicht so viele mittelmässige bis schlechte Interviews.

Junge Künstler freuen sich über jedes Interview im Lokalblatt, je bekannter ein Künstler ist, desto weniger Interviews gibt er oder er lässt sie kurzfristig platzen. Dabei könnte ein Interview eine Win-Win-Win-Situation sein – für den Journalisten, den Künstler sowie den Konsumenten. Wie gesagt: könnte.

Theorie und Praxis

Das perfekte Interview würde in etwa so aussehen: Der Fragesteller ist gut vorbereitet, bringt nicht dieselben Themen wie schon 20 Journalisten zuvor und überrascht den Künstler mit intelligenten Zwischenfragen. Der Künstler ist motiviert, liefert keine Standardantworten und erzählt interessante Anekdoten aus seinem Musiker- oder auch Privatleben. Der Konsument schliesslich fühlt sich unterhalten, lernt seinen Lieblingskünstler besser kennen oder entdeckt durch ein gutes Interview auch neue Künstler.

Soviel zur Theorie. In der Praxis sieht es leider nur zu häufig relativ anders aus.

Woran kann ein Interview scheitern?

Natürlich kann es an beiden Seiten scheitern – sowohl am Interviewer wie auch den Musikern. Die Journalisten sind schlecht oder gar nicht vorbereitet und ärgern die Künstler mit Allgemeinschauplätzen und brillieren mit Fragen à la «wie gefällt es dir in der Schweiz» oder «was spielst du lieber, Indoor oder an Openairs». Solche Interviews sind für die Musiker tatsächlich eine Zeitverschwendung. Es gibt auch den Interviewer, der zwar seine Fragen am Start hat, diese dann aber einfach eine nach der anderen runterleiert ohne auch nur eine Zwischenfrage zu stellen.

So entsteht kaum ein Gesprächsfluss. Manche Interviewer nehmen sich etwas zu ernst und haben wohl oft das Gefühl, sie seien die grösseren Stars als die Musiker (nicht vergessen: viele Musikjournalisten sind gescheiterte Musiker!). Schlussendlich kann man auch bei desinteressierten Journalisten als Künstler nur ruhig und höflich bleiben. Zum Glück kann man nämlich auch auf langweilige Fragen interessante Antworten geben (gilt aber leider auch andersrum).

Alles im Fluss – oder überflüssig

Ein gut vorbereiteter, motivierter Journalist garantiert aber natürlich alleine noch kein gutes Interview. Für viele Künstler sind Interviews nichts als ärgerliche Pflichterfüllung und sie bringen ihr Desinteresse deutlich zum Ausdruck. Sie geben sich gar nicht erst Mühe mehr als Standard-Marketing-Phrasen aufzusagen, ganz egal wie kreativ die Frage auch war.

Einige Tipps: versucht wirklich auf die Fragen einzugehen, lasst euch auch ruhig mal Zeit um darüber nachzudenken. Seid nicht zu einsilbig, verzettelt euch aber auch nicht in minutenlangen Monologen. Wichtig ist es vor allem, dass man einigermassen motiviert an ein Interview herangeht und diese Motivation auch beibehält, wenn nebendran nicht der Fragensteller des Jahrhunderts sitzt.

Interviews sind die Köngsdisziplin

Unter Journalisten gilt das Interview als Königsdisziplin. Es bedarf einer guten Vorbereitung aber trotzdem ist jedes Gespräch wieder anders und sehr häufig nicht vorhersehbar. Man muss seine Fragen bereit haben, gleichzeitig aber auch gedanklich voll präsent sein und spontan auf das Gesagte des Gegenübers eingehen.

Dies nicht selten in einem hektischen oder lauten Umfeld (in Backstages, an Festivals). Doch auch für die Künstler sind Interviews nicht ganz so einfach wie es vielleicht auf den ersten Blick erscheint. Wie bei der Musik ist teilweise Kreativität gefragt, ebenso muss man mit kritischen Fragen umgehen können.

Wieso soll ich überhaupt Interviews geben?

In der heutigen Zeit gibt es viele Möglichkeiten sich selbst sowie sein Release zu promoten. Doch trotz Social Media und den allerkreativsten Promo-Methoden bleiben Interviews ein überaus wichtiger Teil jeder Promotion. Mit einem guten Interview erreicht man stets nicht nur die eigene Fanbase, sondern weckt auch Interesse bei Leuten, welche die Musik zuvor nicht gekannt haben und sie sonst vielleicht auch nie entdeckt hätten.

Natürlich kann man auf seiner Website alle wichtigen Infos bereitstellen und über Social Media die Meinung zu allem Möglichen kundtun. Ein guter Interviewer überrascht aber auch mit Fragen, die man sich selbst noch nie gestellt hat und betrachtet die Musik eines Künstlers aus einem völlig neuen Blickwinkel.

Der Interviewer als Bindeglied zu den Fans

Viele Interviewer, gerade im Videobereich, sind gnadenlose Selbstdarsteller. Schlussendlich steht aber immer der Künstler im Vordergrund. Ein Interview unterscheidet sich auch von einem normalen Gespräch: Als Journalist stellt man Fragen, hakt mit Zwischenfragen nach, seine eigene Meinung tut aber wenig zur Sache.

Der Künstler sollte immer im Hinterkopf haben, dass es bei Interviews ein bisschen ist wie bei den Hausaufgaben: die einen macht man nicht für den Lehrer und die anderen nicht für den Journalisten. Dieser ist nämlich am Ende des Tages nichts anderes als das Bindeglied zu den Fans, die sich das Interview anschauen bzw. es lesen. Ein Interview ist kostenlose Promotion ohne grossen Aufwand mit der man im Idealfall viele neue Hörer erreicht.

Muss ich jedem Käseblatt ein Interview geben?

Zu Beginn der Karriere heisst die Antwort mit grosser Wahrscheinlichkeit ja. Zum einen sind diese in den meisten Fällen die einzigen, die sich überhaupt für ein Interview mit dir interessieren, zum anderen ist es auch eine gute Möglichkeit zu üben. So wie man meist die ersten Gigs nicht in ausverkauften Hallen, sondern im lokalen Jugendhaus spielt, so sind die ersten Interviews meist eher unspektakulär.

Hat man einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht, ist es selbstverständlich, dass man priorisieren muss und nicht mehr jede Interviewanfrage annehmen kann. Doch auch für bekannte Musiker gilt: Interviews sind Teil des Jobs und will man darauf verzichten, muss man entweder so bekannt sein, dass man es wirklich nicht nötig hat oder man kehrt zurück zum Dasein des Hobbymusikers.

Was für Arten von Interviews gibt es eigentlich?

In der Musikbranche kann man die Interviewarten auf drei reduzieren.

E-Mail-Interview

Wie der Name schon sagt, schickt der Journalist hier seine Fragen per Mail an den Künstler der wiederum schriftlich seine Antworten gibt.

Sicht des Journalisten: Für den faulen Journalisten ist dies natürlich optimal, da der Zeitaufwand kleiner ist. Ein Journalist der etwas auf gute Interviews gibt, wird diese Variante allerdings kaum bevorzugen, ausser er braucht nur ein, zwei Quotes für einen Text. Ein wirkliches Interview kann so aber nicht entstehen, da man nicht auf die Antworten des Künstlers eingehen kann. Um dies etwas abzumildern kann man nach den ersten Antworten Ergänzungsfragen hinterherschicken. Aber auch dann wird es nie dasselbe sein wie wirklich mit dem Künstler zu sprechen.

Sicht des Künstlers: Für den Künstler kann der Zeitaufwand grösser sein, wenn er die Antworten tippen muss. Handkehrum kann er diese natürlich genau dann beantworten, wenn er gerade Zeit dazu hat. Ebenfalls hat er die Möglichkeit mehr über seine Antworten nachzudenken als im Eifer des Gefechts bei einem persönlichen Gespräch. Fühlt man sich bei Interviews nicht so wohl ist dies ebenfalls ein Argument, um den «Mailer» zu bevorzugen.

Das Telefoninterview aka Phoner

Gerade bei Künstlern die viel auf Achse sind oder wenn sich der Interviewer nicht im selben Land wie der Künstler aufhält, kommt der Phoner oft zum Zug.

Sicht des Journalisten: Auch diese Interviewform ist nicht mit einem persönlichen Gespräch vergleichbar, bietet aber im Vergleich zum Mailer zumindest die Gelegenheit nachzufragen. Ein Gesprächsfluss ist hier also möglich.

Sicht des Künstlers: Für den Künstler gibt es hier eigentlich keinen grossen Unterschied zu einem persönlichen Interview, das ist dann wohl einfach eine Geschmacks- oder Zeitfrage.

Das persönliche Interview

Dies ist die wohl gängigste und vor allem optimalste Variante eines Interviews.

Sicht des Interviewers: Erst bei einem persönlichen Gespräch hat man das Gefühl dem Künstler wirklich auf Augenhöhe begegnen und ihn kennenlernen zu können. Neben den Aussagen spielt nämlich häufig auch Gestik und Mimik eine Rolle. Macht ein Künstler einen ironischen Kommentar bei einem Phoner, erkennt man diesen womöglich nicht als solchen. Bringt er diesen aber mit einem verschmitzten Lachen bei einem persönlichen Interview wird es sofort klar. Ein ernstzunehmender Journalist wird diese Form des Interviews ganz klar bevorzugen.

Sicht des Künstlers: Dies sollte eigentlich auch aus Sicht des Künstlers so sein, da bei einem persönlichen Interview die Chance am grössten ist, dass ein tiefgehendes, witziges oder persönliches Gespräch entsteht. Aber natürlich kommt man als Künstler bei dieser Variante ein Stück weit aus der Deckung und gibt mehr Persönliches von sich preis.

Worauf muss man als Künstler bei Interviews achten?

Als aufstrebender Act sollte man eigentlich noch keine Interviewanfragen ausschlagen, selbst wenn Aufwand und Ertrag vielleicht nicht immer übereinstimmen. Etablierte Künstler haben meist ein Label oder Management, die sich um die Interviewanfragen kümmern und dort auch bereits filtern, was für den Künstler relevant ist und was nicht (Jay-Z spricht zum Beispiel nicht mit dem kleinen Deutschrap-Blog, da können die noch 100 Mails schreiben an Roc Nation).

In einigen Fällen müssen die Interviewer ihre Fragen bereits im Voraus schicken, dies habe ich persönlich aber fast nur bei Künstlern bzw. deren Managements erlebt, die wichtiger tun als sie es effektiv sind. Ich würde also darauf verzichten, ausser ihr fühlt euch wirklich komplett unsicher und wollt bereits einige Antworten im Voraus einstudieren.

Hat man sich entschieden ein Interview zu geben, sollte man dieses nicht kurzfristig wieder absagen oder den Interviewer stundenlang warten lassen, das spricht sich nämlich schnell herum. Eine gewisse Attitude kann nicht schaden als Musiker aber die sollte man sich vielleicht für andere Momente aufsparen.

Was aber nicht bedeutet, dass man sich völlig anders geben soll. Natürlich muss man das aufgebaute Image auch im Interview ein stückweit weiterziehen. Ein Gangsta-Rapper der plötzlich wie ein Chorknabe auftritt, ist eher verwirrend. Ein Teenieschwarm der sich gibt wie ein Black Metal Sänger, der in seiner Freizeit Ratten den Kopf abbeisst, ebenso. Schlussendlich gibt man das Interview als Künstler und nicht als Privatperson also soll auch das Image klar erkennbar sein.

Respect the Journalist

Egal welches Image man nun vertritt, sei es auch als Gangsta Rapper oder Rockrüpel, ein Mindestmass an Anstand gegenüber dem Interviewer ist Pflicht. Ebenfalls muss man sich darauf einstellen, kritische Fragen beantworten zu müssen. Wenn der Interviewer euer vorheriges Album besser fand als das neue, ist dies noch kein Grund das Gespräch zu beenden oder nur noch schnippische Antworten zu geben. Wiederum muss man sich natürlich nicht alles gefallen lassen.

Wird der Interviewer beleidigend, macht er sich über euch lustig oder wenn ihr euch überhaupt nicht ernst genommen fühlt, kann man das Gespräch problemlos abbrechen. Dies gilt natürlich auch für die Gegenseite: wenn ein Künstler klarmacht, dass er das Interview nur gibt, weil sein Label es ihm aufgebrummt hat, kann man das Gespräch jederzeit für beendet erklären.

Als Journalist ist man nach dem Interview häufig mit der Interviewfreigabe konfrontiert, also dass die Künstler bzw. deren Management das fertige Interview erst gegenlesen wollen. Als Journalist hat man natürlich nicht wirklich Freude daran, hatte man bei dem Gespräch aber kein gutes Gefühl, lohnt es sich aus Sicht des Künstlers nochmals einen Blick darauf zu werfen.

Brauche ich ein Medientraining?

Die meisten Künstler kommen gut ohne grosses Training klar und gehen Interviews gelassen an, da sie ja über das sprechen können, was ihnen am meisten bedeutet – ihre Musik. Aber natürlich gibt es auch Künstler, die sich im Studio oder auf der Bühne deutlich wohler fühlen, als wenn ihnen ein Journalist ein Mikrofon vors Gesicht hält.

Noch extremer sind natürlich Radio- und besonders TV-Auftritte, wo wohl selbst abgeklärte Zeitgenossen einen erhöhten Puls haben. Braucht man aber wegen dieser Nervosität ein Medientraining? In den meisten Fällen wohl nicht. Meine persönliche Meinung ist, dass sich ein Medientraining dann lohnt, wenn absehbar ist, dass bald die Hölle los ist und unzählige Promotermine anstehen, man aber noch absolut keine Erfahrung im Umgang mit den Medien hat.

Allenfalls bietet sich so ein Training auch dann an, wenn die Nervosität wirklich komplett überhandnimmt und man plötzlich keinen Vernünftigen Satz mehr herausbringt. In allen anderen Fällen sollte es aber völlig ausreichen, wenn man sich gut vorbereitet, sich zu einigen möglichen Fragen schon im Voraus Gedanken macht und allenfalls mit Freunden oder Bandkollegen mal eine Interviewsituation durchspielt.

Medientraining – Angebote

Sollte ihr euch für ein Medientraining entscheiden, achtet darauf, dass diese sich auch explizit an Musiker richten. Viele Medientrainings sind nämlich primär auf Wirtschaftsleute und Politiker ausgerichtet.

Ein Beispiel für Anbieter von Medientrainings ist:
https://www.grabowski-medientraining.de/medientraining

Interviews als Musiker geben – das Fazit

Als Künstler muss man für sich selber herausfinden, welche Art von Interview man bevorzugt. Ist man eher unsicher, ist vorderhand von persönlichen Interviews abzuraten und der Phoner oder gar Mailer zu bevorzugen. Auch muss jeder Künstler selbst herausfinden, ob er sich vorbereiten muss auf Interviews. Gerade bei Künstlern, die fast aus dem Nichts bekannt werden und viele Interviewanfragen bekommen, empfiehlt sich eine Vorbereitung auf die vielen Fragen oder gar ein Medientraining.